Der Fisch aus dem Wasser oder die Macht des Rückkehr-Kulturschocks - Gastbeitrag - Katja von Glinowiecki
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Der Fisch aus dem Wasser oder die Macht des Rückkehr-Kulturschocks – Gastbeitrag

Dass meine Rückkehr in die deutsche Heimat nach insgesamt sechs Jahren Ausland schwer werden würde, damit hatte ich durchaus gerechnet. Dass mein Unterbewusstsein schon Monate vor dem Abflugtag anfing, den Rückkehrprozess zu bearbeiten, kam unerwartet. Drei Monate lang hatte ich mit Magenkrämpfen und Durchfall zu kämpfen, was nach 5 Jahren China nun wirklich nicht mehr typisch ist. Komischerweise kam ich mir emotional sehr gelassen vor, freute mich sogar auf das neue Kapitel, dass in Deutschland für mich beginnen sollte. Meiner Erfahrung nach ist China ein Land, dass Ausländern viele Möglichkeiten bietet. Jedoch hatte auch ich gemerkt, dass es nach Wahl einer Möglichkeit wenig bis kaum Fortschritt- und Entwicklungsspielraum innerhalb dieser gibt. Auch ich war an dem Punkt angekommen, an dem ich für mich keine unmittelbare Zukunft in China sah. Möglicherweise fiel mir der Abschied deshalb vordergründig leichter als gedacht. Ich hatte viele liebgewonnenen Leute in China kommen und gehen sehen, und auch die verbliebenen Freunde hatten alle nur noch wenige Monate im Land der Mitte vor sich. Meine chinesische Gastfamilie würde auch bald den Umzug in die Schweiz vollziehen, somit hielt mich augenscheinlich nicht mehr viel in China.

Falsch gedacht, wie ich nach meiner Rückkehr nach Deutschland feststellen musste. Ich fühlte mich wahrlich wie ein Fisch aus dem Wasser. Schnell merkte ich, dass ich mich in die deutsche Gesellschaft nicht wieder ohne weiteres einfinden konnte. Zu kompliziert erschienen mir die Begrüßungsregeln (Hand schütteln, Umarmung, zwei Küssen/drei Küssen?), zu teuer der öffentliche Nahverkehr und zu abgehoben die deutschen Tischmanieren. Ich musste mich unweigerlich an die Worte meines Gastkindes erinnern: Ronja, du bist eben mittlerweile eine halbe Chinesin. Sie hatte wohl recht. Ich hatte mich so wunderbar an die chinesischen Gewohnheiten angepasst, so reibungslos in die Kultur integriert, dass mir meine eigene deutsche Kultur auf einmal fremd vorkam. Und obwohl ich mich äußerlich nicht verändert hatte (außer ein paar Kilos mehr auf den Rippen, der chinesischen Küche sei Dank), so war ich doch ein anderer Mensch geworden. Die vielen Erfahrungen, lehrreichen Momente und Menschen hatten ihre Spuren hinterlassen. Spuren, die für meine deutsche Familie und Freunde nur schwer zu entziffern waren. Oder sollte ich besser sagen, absolut unverständlich. So fühlte ich mich in meiner alten Heimat so fremd und so einsam wie nie. Nach den vielen Jahren im Ausland blieben in der Heimat nur eine Handvoll Freunde, mit denen ich außer der Abiturzeit nichts mehr gemeinsam hatte. Ich sehnte mich nach Menschen, die mich verstehen, meine ganzen Abarten und Geschichten über chinesische Ayis inbegriffen.

Doch Gleichgesinnte waren rar. Und da ich selbst wahrlich niemand bin, der sich anderen Menschen auf die Nase bindet und sie mit ungefragt mit Geschichten über unbekannte Länder plagt, durfte ich diese ganzen Dinge für mich behalten. Und das war schwer. In den ersten Monaten zurück in meiner deutschen Heimat, aka süddeutsche Kleinstadt, erkannte ich in mir selbst tatsächlich leicht depressive Züge. Mein Lichtblick: das bald beginnende Studium. Doch auch der Start an der Hochschule sollte kein leichter sein; ich war nicht nur um einiges älter als 95% meiner Kommilitonen, sondern auch um einen tiefen Erfahrungspool reicher als die frischgebackenen Abiturienten. Ich galt tatsächlich ein wenig als Exotin, die zwar einen gewissen Reiz besaß, aber aus Respekt und Unsicherheit lieber aus der Distanz begutachtet wurde. Ich merkte schnell, dass ich mich entscheiden musste: entweder würde ich die nächsten drei Jahre als Einzelgängerin durch das Studium gehen, oder ich würde mein halbes chinesisches Ich in den Hintergrund schieben müssen. Und da meine psychische Gesundheit in dieser Zeit von größerer Priorität war, entschied ich mich schweren Herzens für Letzteres. Ich begann, mich anzupassen. Kommentare und Geschichten über mein Leben in China hielt ich bewusst zurück, stürzte mich kopfüber und mit großem Elan in mein Studium und lerne nette Leute kennen. Und so ging es mir allmählich besser. Treffen mit Katja, und Gespräche über ihren Umgang mit der Rückkehr in die deutsche Heimat gaben mir Kraft.

Ich wusste, ich bin nicht allein und es gab tatsächlich Menschen, die mich und meine Gefühle verstehen. Das Gefühl der Einsamkeit nahm langsam ab. Doch dafür zahlte und zahle ich meiner Meinung nach immer noch einen hohen Preis. Ein Teil meiner Identität ist für den Großteil des Tages in den Schatten verbannt. Die wenigen Momente, in denen ich das Nachbarsbaby auf Chinesisch zuquassle, die Chips mit Stäbchen aus der Packung esse, oder mir die dritte Tasse heißes Wasser einverleibe sind deshalb umso wichtiger und werden in vollen Zügen genossen. Die Chinesisch-AG, die ich an meinem alten Gymnasium anbiete, erlaubt mir, meine Erfahrungen und mein Wissen über die chinesische Kultur weiterzugeben, und das an neugieriges und interessiertes Publikum. Und die Aussicht auf ein Praxissemester in China nächstes Jahr gibt mir auch für mein Studium Auftrieb. Ich lebe zwar immer mit der Angst, mein Chinesisch verstümmeln zu lassen und mich wieder einzudeutschen (ja, vor so etwas kann man Angst haben). So geht es mir momentan gut, ich bin gern zurück in Deutschland, zähle aber auch die Semester bis Studienende und meine Zukunft im Ausland. Reisen ist für mich fast wie eine harte Droge, einmal probiert kann man schwer davon lassen und lebt in der Zwischenzeit auf Entzug. So sehe ich auch meine Zukunft nach dem Studium nicht nur an einem Ort, sondern eher als ein Leben als Nomade auf dieser Erde.

Meine Rückkehr und die dadurch hervorgerufenen Gefühle mögen extrem klingen. Andere Rückkehrer verspüren vielleicht eine Art Heimweh nach der Zweitheimat, wieder andere sind sogar ehrlich froh wieder in der Heimat zu sein und ihre Zeit im Ausland in der Vergangenheit zu wissen. Jede Geschichte ist einzigartig, genau wie die Menschen, die sie erzählen. Was ich aus dem ganzen Gefühlschaos mitnehme: wir Menschen müssen wieder lernen zuzuhören. Wirklich bessere Zuhörer werden, Fragen stellen, und Interesse an unseren Mitmenschen zeigen. Das hätte mir in meiner Zeit der Rückkehr tatsächlich geholfen, Freunde mit ehrlichem Interesse und Enthusiasmus an meinen Erfahrungen, Fragen zum Leben in China und mir selbst.

Eure Ronja